Führt der neue Digitalrat Deutschland ins „digitale Paradies“?

29. August 2018 | Von | Kategorie: Leitartikel

Der digitale Wandel bietet enorme Chancen für die Menschen in Deutschland. Damit auch alle daran teilhaben können, muss die Bundesregierung politisch die richtigen Weichen stellen. Ist der seit 22. August 2018 bestehende Digitalrat dafür die passende Lösung?

Warum ein Digitalrat?

Die Digitalisierung verändert schon jetzt in Deutschland viele Aspekte des täglichen Lebens. Und die Veränderungen werden mit unvermindertem Tempo weitergehen, sich sogar noch beschleunigen.

Beim Setzen der Rahmenbedingungen für den Umgang und die Nutzung dieser Veränderungen kommt Deutschland aber nur schleppend voran. Das liegt zum einen ganz einfach an den jeweiligen Prozessen in der Gesetzgebung und der Verwaltung. Zum anderen liegt es aber auch schlicht und einfach am fehlenden Sachverstand im Kanzleramt, in den Bundesministerien und den für die Umsetzung zuständigen Verwaltungsebenen und am grundsätzlichen bestehenden Misstrauen gegenüber den schon jetzt sichtbaren Veränderungen.

Der zehnköpfige Digitalrat soll hier ansetzen und laut Kanzlerin Angela Merkel die Bundesregierung „antreiben und unbequeme Fragen stellen“.

Die für ihn zentralen 4 Themen werden sein die Arbeitswelt der Zukunft, der Umgang mit Daten, die Gründerszene sowie die neuen Möglichkeiten der Partizipation an den durch die Digitalisierung geschaffenen Veränderungen. Hinzu soll als Querschnittsthema die Frage kommen, wie sich die Digitalisierung auf Kultur und Gesellschaft auswirkt.

Ausdrücklich wünscht sich die Bundeskanzlerin einen Austausch mit den einzelnen Ministerien, die ja teilweise eigene Abteilungen für die sie betreffende Fragestellungen im Bereich Digitalisierung unterhalten.

Die Mitglieder des Digitalrats

Der Digitalrat ist international besetzt. Die Mitglieder kommen neben Deutschland aus der Schweiz, Österreich und den USA: Vorsitzende ist die ehemalige Unternehmensberaterin und Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Katrin Suder, die sich schon in diesem Ministerium mit den Fragen zur Digitalisierung auseinandergesetzt hat. Aus New York ist Rechtsprofessorin Beth Simone Noveck dabei, die unter Barack Obama, dem Ex-Präsident der USA, für das Thema Digitalisierung zuständig war. Weiter sind dabei: Viktor Mayer-Schönberger, Professor für Internet Governance and Regulation in Oxford, Urs Gasser, Direktor des Berkman Klein Center for Internet & Society aus Harvard, Ada Pellert, Rektorin der Fernuniversität Hagen, Peter Parycek, Leiter des Kompetenzzentrums Öffentliche IT am Fraunhofer FOKUS Institut, Wissenschaftler Andreas Weigend sowie die drei Unternehmer und Gründer Ijad Madisch (Researchgate), Stephanie Kaiser (Heartbeat Labs) und Hans-Christian Boos (Arago).

Digitale Defizite in Deutschland

Defizite gibt es in Deutschland mit Blick auf die Digitalisierung reichlich, beispielhaft seien genannt:

  • Bei der Internetversorgung – Stichwort Breitbandausbau – liegt Deutschland bestenfalls im Mittelfeld.
  • Die digitale Ausstattung von Schulen in Deutschland ist teilweise haarsträubend schlecht. Tablets, E-Learning-Angebote oder einfach nur gute Computer sind oftmals nicht vorhanden. Von vernünftigen Fortbildungsangeboten – zum einen unter Nutzung digitaler Angebote, zum anderen hinsichtlich digitaler Kompetenzen – für Lehrkräfte ganz zu schweigen.
  • Und wirft man einen Blick in Länder wie Estland und schaut sich dort die Angebote hinsichtlich E-Government und digitaler Verwaltung an, kann man sich ob der dortigen Angebote nur die Augen reiben: Digitale Meldungen und Registrierungen über ein Bürgerportal (z.B. Reisepass oder Personalausweis online beantragen), ein Unternehmen wie eine GmbH online gründen, Behördengänge mit Online-Unterstützung durchführen – anderswo Realität, in Deutschland Utopie.
  • Darüber hinaus sind Unternehmensgründungen unnötig kompliziert, weil mehrere Stellen für diverse Anmeldungen und Registrierungen zuständig sind.
  • Die Rahmenbedingungen für innovative Geschäftsfelder wie E-Health, Künstliche Intelligenz oder selbstfahrende Fortbewegungsmittel (Autos, Lkws, Drohnen etc.) sind, wenn überhaupt, nur rudimentär vorhanden.
  • Diskussionen zum Thema Datenschutz führen regelmäßig zu Hysterie, anstatt die Chancen objektiv anzusprechen.

Die Staatsministerin für Digitales Dorothee Bär hat es in einem Interview mit dem Münchner Merkur vom 28. August 2018 so schön formuliert: „Wir sind das Land der Rabattkarten, Coupons und Preisausschreiben, werfen jedem unsere Daten hinterher – sind aber bei Technologie die großen Bedenkenträger.“

Ideen zur Beseitigung der Defizite

Die Defizite sind vielfältig, die Ideen, wie man diese Defizite beseitigen könnte, aber auch. So gab es in der Vergangenheit unter anderem Ergebnisse der „Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft“, diverse Expertengruppen in diversen Ministerien mit konkreten Vorschlägen sowie diverse Weiß- und Grünbücher und Konferenzen zur verschiedenen Digitalisierungs-relevanten Bereichen mit praktischen Handlungsempfehlungen.

Allerdings stellt man schnell fest: Es wurden einfach keine der Ideen aufgegriffen und umgesetzt. Es hilft halt nicht, nur davon zu reden, dass etwas getan werden muss. Letztendlich geht es um das Tun – und dazu bedarf es Mut, den ersten Schritt zu tun. Und in Deutschland vielleicht auch den Mut, den Bürgern mal Neuerungen und Veränderungen „zuzuMUTen“.

Ändert sich mit dem Digitalrat nun alles zum Guten?

Die Einsetzung des Digitalrats wurde in den Medien nicht gerade freudig begrüßt. Durchweg wurde vielmehr ein negatives Bild gemalt (übrigens nicht hinsichtlich der Mitglieder des Digitalrats; hier scheint der Konsens zu bestehen, dass die Mitglieder sich tatsächlich mit der Digitalisierung auskennen): Von einem „Blabla-Gremium“ ist die Rede, von einem „Trauerspiel, wenn die Regierung im Jahr 2018 noch Nachhilfe bei der Digitalisierung benötigt“ und von „fehlendem Mut, konsequent für die digitale Entwicklung ein- und aufzutreten“.

Ich bin jedoch derzeit der Meinung, dass diese Äußerungen zu voreilig gemacht wurden. Denn bei einem Blick auf Deutschland wird schnell klar, dass ein zentrales Problem in dem tendenziell negativen Blick auf die Digitalisierung und ihre Chancen liegt. Es werden „gerne“ die Probleme gesehen, negative Einzelbeispiele stehen schnell im Fokus.

Blicke ich auf die Einsetzung des Digitalrats, dann fällt mir eine spannende Tendenzen: Erst wurde mit der Digitalministerin endlich eine hochrangige politische Vertreterin mit großer Reichweite in den Medien eingesetzt, die positiv über die Chancen der Digitalisierung redet. Und nun gibt es einen Digitalrat, der nicht nach Parteiproporz besetzt ist, sondern objektiv einiges an Sachverstand versammelt. Darin könnte man den Versuch erkennen, das Thema Digitalisierung in Deutschland endlich positiv zu besetzen und die Chancen, und nicht die Herausforderungen, in den Vordergrund zu stellen. Immerhin haben sowohl die Digitalministerin als auch der Digitalrat direkten Zugang zur Bundeskanzlerin. Damit verfügen beide über genügend Rückendeckung, dass man sie nicht einfach ignorieren kann.

Fazit

Natürlich wird es letztendlich davon abhängen, ob die Bundeskanzlerin den Vorschlägen des Digitalrats Gehör schenkt. Und natürlich müssen, wenn dessen Vorschläge angenommen werden, diese Vorschläge auch umgesetzt werden. Dann erst wird sich zeigen, ob die Bundeskanzlerin es ernst meint mit dem „antreiben und unbequem sein“. Und klar ist auch, dass sich der Digitalrat beweisen muss. Es ist an den Mitgliedern des Rates, sich selbst aktiv einzubringen, vielleicht auch mal bei unsinnigen Vorhaben klar Stellung zu beziehen und „Nein“ zu sagen. Und er wird zeigen müssen, dass er die besondere Rolle der Digitalpolitik als Querschnittsthema mit ihren unterschiedlichen Facetten versteht.

Positiv ist für mich, dass der Digitalrat internationaler besetzt ist als es sonst bei Beratungsgremien der Bundesregierung üblich ist. Denn gerade diese internationale Expertise ist ein Vorteil, der helfen wird neue Blickweisen zuzulassen.

Ich für meinen Teil bin derzeit hinsichtlich des Digitalrats vorsichtig optimistisch. Lassen wir den Digitalrat mal seine ersten Vorschläge unterbreiten und schauen wir dann, ob und wie sie umgesetzt werden.

Wer erwartet hat, dass der Digitalrat Deutschland in das „digitale Paradies“ schießt, der ist in meinen Augen ein Träumer. Wenn es aber darum geht, die Einstellung in Deutschland gegenüber den Veränderungen durch die Digitalisierung zu ändern und den nächsten Schritt zu gehen, um Deutschland im Ganzen mit den Chancen der Digitalisierung stärker vertraut zu machen und die Weichen für die Zukunft zu stellen, dann könnte uns der Digitalrat positiv überraschen.

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